Wieder da. Die Crew war nett, ein illustres, gönnendes KollegenTEAM, sehr, sehr schön. Dubai- war eine Enttäuschung. Ich hatte keine Vorstellung und war auch nicht voreingenommen, weder negativ noch positiv, bin aber in alle Richtungen enttäuscht gewesen. Mir ist es, im Gegensatz zu zuvor getroffenen Kollegen, eher unwichtig, wie luxuriös das Hotel ausfällt. Ob es eine Minibar gibt oder Natursschwämme in den gläsernen Duschkabinen. Mir ist es wichtig, dass es nach Leben riecht, sobald ich die Klimaanlage des Hotels hinter mir gelassen habe. Nach Leben aber roch es so gar nicht. Es roch nach Schweiß. Nach Schweiß der billigen, asiatischen Arbeitskräfte, die sich in der 40 Grad heißen Luft Tag und Nacht auf einer Baustelle direkt vor dem Hotel abrackerten. Es roch nach Wüstensand, Autos und Ramadan. Letzteres wiederum bedeutete eine auferlegte Zwangsruhelegung. Das Leben lag brach. Es gab keine Cafés, keine Essensstände, kein Irgendetwas. Supermärkte, ja, aber dort Gekauftes durfte selbstverständlich nicht in der Öffentlichkeit verzehrt werden, da MAN ja die fastende Bevölkerung nicht "reizen" durfte. Nun gut, andere Länder, andere Kulturen, andere Glaubensrichtungen. Ich muss nicht versuchen, das mit meinem ganz eigenen und noch dazu europäischem Denken zu verstehen. Gefallen hat es mir dennoch nicht. Somit endete das Layover dann tatsächlich im Hotelzimmer, einer Stunde Yoga und Körperpflege von innen und außen.
Heute dann.
Bin ich wieder daheim und traurig. Nicht traurig traurig. Aber traurig. Ich habe so einiges bewegt in meinem Leben. In den letzten Monaten. Gefühle und Gedanken zu Plänen gemacht, Pläne umgesetzt. Zum zweiten Mal verlasse ich das erste Zuhause meines Lebens.
Zum zweiten Mal mein B., meinen Begleiter seit über fünf Jahren, besten Freund und einen der wenigen Menschen, die mir noch nie etwas Schlechtes getan haben.
Und jemanden, der mich liebt. Von Herzen und aufrichtig.
Und ich frage mich immer wieder, was hier zählt, was im Leben überhaupt zählt.
Ich verlasse jemanden, der einfach zu mir gehört, ich zu ihm.
Und doch. Gehe ich.
Weil ich dem Bauch folge. Weil ich das Gleichgewicht zwischen Kopf und Bauch nicht hinbekomme. Oder eben doch?
Soviel zur menschlichen Konditionierung.
Wer soll das noch verstehen?
Ja. Ich bin wieder oben. Es ist ganz ermutigend, dass diese tiefen Tiefphasen nicht mehr länger als 4 Tage am Stück zu sein scheinen.
Und. Weil mir grad danach ist werde ich jetzt mal zeigen, was ich so in Peking getan habe beim letzten Mal.
Ein paar Photos, und da- war ich auch ganz oben. Unglaublich. Also wenn ich Feind wäre würde ich mir auch überlegen, umzukehren.
Chinesische Mauer
Länge: Hauptmauer 2400 km, insgesamt 6350 km
Baubeginn: 500 v. Chr, weitere Errichtung von Grenzwällen 214 v. Chr, schießlich dann Ausbau in der Ming-Dynastie.
Dann war da noch die Ming-Tomb, Grabstätte eines barbarischen Herrschers aus der Ming-Dynastie, den ich wegen seiner Grausamkeit nicht fotografieren durfte. Er saß da als überdimensionale Statue und guckte grimmig durch die Gegend.
Auf dem Rückweg warf ich noch einen Fotoblick auf das Olympiastadion. Alles nur mit mir selbst. Na. Stimmt nicht ganz. Am Ende des Tages gibt es ja zumindest immer Lotte, die auf mich wartet. Vom Zimmermädchen mitten im großen Hotelbett zwischen Kissen- und Deckenbergen plaziert.
Die Ozonlöcher werden größer. Das ist nichts Neues. Die Pole schmelzen, die Eisbären haben keine Eisschollen mehr unter den Tatzen, ganze Gletscher verabschieden sich für immer, meist lautlos, so kann man es vielleicht noch ertragen, überschwemmte Städte trocknen schon wieder und so ein Brand ab und an ist am Ende vielleicht auch nur gut für die Erde. Wir tun was wir können. Und es gibt ja auch Wichtigeres. Zum Beispiel Olympia 2008 in Peking oder der Ausbau der A3. Oder Knuth, der kommt schließlich auch ohne Eisschollen aus und wirkt nicht depressiv oder gefährdet. Und. Jetzt kommt die gute Nachricht. WIR sind nicht allein Schuld. Das erleichtert doch. Kurzerhand, im Menschenland müssen einfach immer Schuldige her, das beruhigt das schlechte Gewissen, wenn man mal wieder die 30 Meter zu Aldi mit dem Wagen hinlegt, weil man keinen Bock hat, zu laufen, es könnte ja anfangen zu regnen,
also, kurzerhand haben wir, nein, es waren die Wissenschaftler, puh!, neue Schuldige für die Klimakatastrophe gefunden. Was für eine positive Tagwende!
Ich konnte meinen Augen nicht glauben und hoffe wirklich inständig, dass das nicht das Aus für Elche bedeutet. Sicher ist, dass nix sicher ist, so ist das doch.
Beigefügt der Artikel, der, noch lustig aufgemacht, eigentlich nicht wirklich lustig ist.
"Elche sind Schweine
Er gilt als das Guttier des Nordens, ist stolzes Aushängeschild von Schweden, Norwegern und Kanadiern, weltbekannt als ein sanfter Riese. Doch nun bekommt sein prächtiges Image einen hässlichen Kratzer: Der Elch ist ein Schwein! Ja, eine regelrechte Umweltsau, nichts besser als einer dieser spritfressenden Geländewagen. Er muss nur den Mund aufmachen, und schon hat die Umwelt wieder Schaden genommen.
Den Elchen auf die Schliche gekommen sind norwegische Wissenschaftler. Was mitteleuropäischen Städtern völlig neu erscheinen mag und ihre Kinder wahrscheinlich sogar witzig finden: Die Biester rülpsen den lieben langen Tag. Und stoßen damit pro Kopf alljährlich 100 Kilogramm des Treibhausgases Methan aus, wie ein Forscherteam der Universität für Biowissenschaften in Oslo herausfand. Umgerechnet entspricht das einer Menge von 2,1 Tonnen des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) - so viel, wie bei einem Hin- und Rückflug von Oslo nach Santiago de Chile freigesetzt wird. Und das von einem einzigen ausgewachsenen Elch.
Da ist die Apokalypse bei einer geschätzten Zahl von 140000 Elchen allein in Norwegens Wäldern ganz nah. Und es hilft nur noch eins: sofortige flächendeckende Benimmkurse. Das Rülpsen der Elche nach dem Essen muss ein Ende haben!"
Ich mache heute langsam. Wache nur langsam auf. Fühle als allererstes meinen Bauch, der mich seit gestern quält. Schäle mich aus dem Bett, das Pfeifen des B.´s in den Ohren, fröhliches Pfeifen durch den Morgen, Geträller, ich kann das morgens nicht, ich kann das nie, konnte es nie, werde es nie können, ich brauche eine Stunde, danach noch eine, mindestens, für mich, in Ruhe, ich schlurfe in die Küche, mache mir einen Kaffee, schäume die Milch auf und gieße die braune Brühe kunstvoll mit Herz in die weiße Masse, sehe in den Garten hinaus, er begrüßt mich mit einem satten Grün vor dem tiefblauen Himmel und der Sonne, die heute auch mal in Düsseldorf am Rhein zu scheinen scheint, ich setze mich auf den Ikeahocker, auf den ich ein dickes, rotes Kissen gelegt habe, weil mein Hintern sonst immer einschläft und ich einfach ein verwöhntes, kleines Miststück bin, und fange an, mir selbst meinen Tagesablauf aufzulisten. Ich komme nicht weit. Ich habe nichts vor. Nur einen Arzttermin, einen langen Spaziergang und ein Mittagessen, auf das ich mich schon jetzt freue.
Ich bin faul und will das feiern.
Ich bin faul und und will das genießen.
Ich bin faul und ich stehe verdammt nochmal dazu.
Ich bin faul und fühle mich auch ziemlich allein dabei.
Dabei fallen mir meine Worte ein, die mir zu meinem Klosteraufenthalt eingefallen sind, so schlau und so warm, so bunt und so ruhig. Und. So weit weg.
Wie schade, denke ich noch,
als ich mich unter die Dusche stelle und das warme Wasser über meinen Körper laufen lasse, wie schade, dass es so ist, wie es ist, dass nichts (Gefühle) und niemand (wer auch immer) einfach mal bleibt. Einfach mal nur IST, und das für lange oder eben auch, wie unverfroren, für immer.
Ich trockne mich ab, schaue heute nicht in den Spiegel und mache mich auf den Weg.
Und nun.
Sitze ich hier, komme grad aus meinem Garten, sehe, was ich schreibe, vermisse die andere Seite der Axx, die auch noch von innen immerzu klopft, die mir sagt, ich solle endlich verdammt noch eins die Gedankenmühle verschrotten, diese Axx lacht und freut sich und ist beständig, manchmal hasse ich sie dafür, meistens aber vermisse ich sie nur sehr,
mehr als ich irgendwen jemals vermisst habe,
und ab und an, von Zeit zu Zeit und völlig unerwartet aber dankbar, da treffen wir uns, zwischen zwei Stunden und Gedanken, und halten uns im Arm.
Meine glücklichen Zeiten entspringen diesen Treffen.
Niemandem sonst.
Und nichts anderem.
Es geht hier um nichts sonst.
Nur um sie.
Mich.
Uns.
(Bin ich eigentlich schizophren?) (Grad ist juchuhu eines der Eichhörnchen auf dem Gehweg vor meinem Fenster vorbeigesprungen.) (Wo ist eigentlich das U. aus 8330?) (Wie warm ist es jetzt grad in New York?) (u.s.w. u.s.f.)
Keine Eile.
B:Heute war ein Bericht in der Zeitung, wie die in China den Bären die... Axx:Gallensäfte abzapfen, ich weiß. B:Die armen liegen da in so nem Minikäfig auf dem Rücken, gefesselt, Schlauch im Bauch. Nur weil die Bekloppten da meinen, zu kleine Pimmel haben. Axx:Wenn´s ne Hölle gibt landen die dort. B:GIBT´S ABER NICHT. Axx: (lacht) Obwohl das Thema wirklich traurig ist, das mit den zu kleinen Pimmeln auch, aber vor allem das mit den Bären- das B. ist der absolute Atheist und ich habe das mit der Hölle extra in den Raum geworfen. Außerdem ist es immer wieder süß, wenn er sich so gekünstelt aufregt. B: Da musst Du gar nicht lachen. Es gibt keinen Himmel und keine Hölle. (regt sich tierisch auf) Axx:Jahaaa. Gibt es nicht. Es gibt aber Gerechtigkeit. B: Ach ja, wo denn? Guck doch mal, was aus den ganzen Schlächtern geworden ist. Axx:Ach B.- die bekommen ihr Pfund schon noch weg. (Ich sage das nicht, weil ich ihn beruhigen möchte, sondern weil ICH wirklich an Gerechtigkeit glaube und zudem auch an Dinge zwischen Himmel und Erde und Wachen und Schlafen und Sehen und Anfassen. Er aber nicht. Es muss wirklich schwierig sein für ihn- mit mir.) B:JA??!!!! Guck doch mal, die ganzen Schlächter. In Afrika. Die haben jetzt goldene Wasserhähne fürs Abschlachten ganzer Völker. Oder Stalin. Hitler. Der hat sich ne Kugel in den Kopf gejagt. Tolle Gerechtigkeit. Axx:Glücklich war er auch nicht, bevor er sich die Kugel in den Kopf gejagt hat. Eher selbst gejagt. B:Was für eine Gerechtigkeit!!!!
Menschen sind verschieden. Ich weiß das schon lange. Ich habe es immer als rettend angesehen, für mich, an Gerechtigkeit und Dinge zwischen Himmel und Erde zu glauben. Ich glaube nicht an Gott. Aber ich glaube. Das B. braucht keinen Glauben um glücklich zu sein oder über Wasser zu bleiben, es macht ihn nicht so mürbe wie mich, zu sehen, was in der Welt geschieht. Doch, es berührt ihn. Aber seine Welt steht unerschütterlich dort und ist auch noch ziemlich rund. Ich fand es immer schön, zu glauben. Letztlich immer an das Gute. In allem. Nun aber frage ich mich zum ersten Mal, ob es nicht schöner wäre, für eine runde Welt keinen Glauben brauchen zu müssen.
Wie auch immer. Es ist so wie es ist, er wie er eben ist und ich wie ich bin. Da gibt es kein Ver-Tun. Und das ist nicht ver-kehrt. Aber alles auch mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten ist. Heilsam.
Mein Standard ist eben kein Standard.
Die armen Bären.
Manchmal kommt es eben anders, als ich denke oder dachte oder wünschte. Manchmal kann ich Wünsche nicht mehr unterscheiden von Wollen. Und Wollen nicht mehr von Nichtwollen. Nichtwollen von Verzweiflung. Verzweiflung von Liebe. Liebe von Wünschen. Wünschen von Wollen um jeden Preis. In diesen Tagen verschwimmt so ziemlich alles, was mich ausmacht. Ich liege im Bett und hoffe und wünsche, dass das schnell aufhört. Egal in welche Richtung. Es soll aufhören und mich in Ruhe lassen.
Es gibt auch was Gutes. Ein Licht am Horizont. Aber wen wundert das? Mein Pluto steht am Aszendenten.
Nacht und eben bin ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. In jedem Leben geht es als allererstes nur um denjenigen, der es lebt. Und das ist wahrscheinlich auch gut so. Es gab mal eine Zeit, da sah ich es anders. Es gab mal eine Zeit, in der ich alles tat, um andere glücklich zu machen, davon, und NUR davon, hing mein eigenes Glück ab. Dass das so auf Dauer nicht gutgehen kann habe ich vor noch nicht allzu langer Zeit erst gemerkt. Unsanft und im Wald. Im November und zum Abschied hämmerte ein Specht am Nachbarsbaum sein ganz eigenes Lied- nur für mich. Danach setzte eine fast unheimliche Ruhe und Klarheit ein. Über das, was ich will, nicht mehr will, nicht mehr tun werde, nicht mehr tragen will und werde, darüber, was geht und überhaupt nicht mehr geht, darüber, was Ruhe bringt und darüber, was mich unstet und unruhig macht. Mein Weg war klar und mir deutlich vor Augen. Vielleicht war es zuviel Erkenntnis auf einmal. Vielleicht macht das Übertreten eigener Grenzen aber auch vermeintlich zuviel Spaß. Wie auch immer, meinen Weg verließ ich vor geraumer Zeit wieder.
Damit. Ist jetzt Schluss. Eben, im Park, mir war kalt und die Gänsehaut kroch langsam vom Bauch zu den Schultern, hinter mir Kinder und in den Ohren das Schnarren der Rabenkrähen, in der Begegnung von Licht und Dunkelheit, auf dem Klettergerüst sitzend, bin ich zurückgesprungen, auf den Weg. Meinen Weg. Was nicht heißt, dass ich allein gehen will und werde. Was nur heißt, jeder für sich und, wenn das dann irgendwann fließt und nicht mehr zwickt, dann auch miteinander. Kein Wollen mehr, jedenfalls nicht mehr um jeden Preis. Kein Singular, aber, auch kein Plural im vermeintlichen WIR. WIR, das ist jedermanns ganz eigene Definition. Mein WIR aber gibt es nur noch im Einvernehmen, in Freiheit, in Leichtigkeit selbst wenn es schwer ist, im Wissen umeinander, in Liebe, im SeinLassen, im Takt und Gleichklang. Basta.
Und jetzt gehe ich ins Bett und lasse die Gedankenmühlen morsch werden. Ich habe genug. Sowas von genug.
Ach ja.
Ich fühle mich wieder nackt. Und freue mich auf meine neue Kleidung. Bunt. Rot mit orange.
(Das mit Plural und Singular habe ich beim Schriftstehler in ähnlichem Zusammenhang gelesen, im November, im Lichtschloss. Es passt einfach. Immer wieder.)
Samstag. Schon wieder. War es gefühlt doch gestern erst.
Ich sitze Zuhause und lasse das grau von draußen ins innerliche grau schwappen. Ein wenig mehr oder weniger grau macht den Bock auch nicht fett.
Seit gestern kann ich mal wieder so richtig die Wände des Lochs fühlen, in das ich mich systematisch hab fallen lassen in den vergangenen. Eineinhalb Jahren.
Ich fühle mich ziemlich steinern. Ein Stein, der sich ganz bewusst den Berg hinunter stürzt, sich Ecken und Kanten holt, tiefe Dellen und Verformungen, immer in der Hoffnung, dass am Ende, unten, ganz unten, etwas herauskommt, dass vielleicht einem Kunstwerk gleicht. Oder zumindest einen Sinn macht. Ich hörte, es wäre auch möglich, sich als Stein von einem Künstler schleifen und formen zu lassen, da war es meiner Meinung nach aber bereits zu spät dafür. Und es steht außer Frage, dass ich auch im Wissen darum wahrscheinlich den anderen Weg gewählt hätte.
Es ist noch gar nicht lange her, dass ich in Thailand war. In etwa viereinhalb Monate. Noch nicht lange her. Viel zu lang.
Dieses Ziehen ist wieder da. Nicht das Ziehen nach Strand, Sonne, Meer und Walhaien. Das Ziehen nach Ruhe. Diese Ruhe, die ich dort, ohne irgendwen an meiner Seite, ohne Verliebtsein (meinem sonstigen Energie- und Ruhelieferanten) und gestörtem Essverhalten,
spürte, weil kaum sonst etwas zu spüren war. Ich habe wirklich kaum noch Kraft, diesen Weg, den ich für mich gewählt habe, zu gehen. Manchmal habe ich die Nase voll. Manchmal bin ich wütend. Gestern aber war ich nur noch müde. So eine tiefe Müdigkeit und Leere, wie sie nur Hoffnungslosigkeit entspringen kann. Ich würde eine Welt dafür geben, dieses Gefühl für immer aus meinem Leben zu verbannen.
Und. Wieder musste ich feststellen, dass von Lesern gewählte Pseudonyme meist für sich sprechen. Wen schert da noch die "feine Art"? Mich nicht.
Seine Frage trifft mich unvorbereitet. Ich bin verwirrt, besonders über die eindrucksvolle Härte, die von diesen Worten ausgeht. Die keinen Widerstand, Widerspruch, nicht mal einen kurzen Moment des Nachdenkens duldet.
"Ich weiss es nicht. Nicht lange."
"Alex, wie lange brauchst Du, um Dich anzuziehen?"
Diesmal ist die Frage noch klarer, noch unverrückbarer. Noch härter. Ich blicke ihn an, auf der Suche nach dem winzigsten Anzeichen eines Spaßes, das muss einfach ein Spaß sein.
Er erwidert meinen Blick ohne Regung.
Mir wird flau, ich spüre Übelkeit in mir aufsteigen, ein brennend-schwammiges Gefühl im Magen. Übelkeit und... Angst. Draußen ist es tiefschwarze Nacht, die Sterne mögen als schöner Anblick, jedoch nicht als Lichtquelle dienen. Wir sind mitten auf dem Land. Ich kenne den Weg nicht. Ich kenne IHN doch überhaupt nicht. All das schießt mir in Sekundenschnelle durch den Kopf. Ich starre auf meine Reisetasche, die ungeordnet vor mir liegt. Und es erscheint mir völlig unmöglich, mich schnell anzuziehen. Ich will mich nicht anziehen. Ich will nicht da raus.
Seine unnachgiebige, fast drohende Stimme reißt mich erneut aus der Ummantelung meiner Gedanken.
"Wie lange?!!"
"Fünf Minuten, ich glaube, fünf Minuten."
"Gut, Du hast fünf Minuten, nicht mehr."
Ich gehe zitternd an meine Tasche. Sehe sie abschätzend an und spiele kurz mit dem Gedanken, mich einfach nicht anzuziehen. Mich aufs Bett zu setzen. Sitzen zu bleiben, bis es zu dämmern beginnt.
"Du hast noch drei Minuten!"
Ich ziehe mich jetzt an, einfach irgendwas. Eine Hose, egal welche, ein Shirt, Kapuzenpullover drüber. Meine Haare hängen mir strähnig und vom Gesprächswirrwarr der letzten Stunde gezeichnet, ins Gesicht.
Schon beim Schritt aus der Haustür wird mir klar, dass das hier kein Scherz sein kann. Ich bleibe stehen, möchte noch etwas von "es tut mir wirklich leid, ich habe es doch so nicht gemeint" stammeln, als er mich fest am Arm packt und mich in Richtung Gehweg, der sich schon nach wenigen Metern durch eine tiefschwarze, undurchdringliche Dunkelheit auszeichnet, zieht.
Ich stolpere hinter ihm her, klammere mich fest, der kurz zuvor noch erkennbare Gehweg ist nun vor meinen Augen komplett verschwunden. Nach einigen Metern und noch mehr Ewigkeiten bleibt er stehen.
Am ganzen Körper von einem monotonen Zittern geschüttelt beantworte ich seine teilnahmslose Frage "Ist Dir kalt?" mit einem Nein. Ich versuche, irgendwo auch nur irgendetwas auszumachen, das ich klar erkennen könnte. Wir stehen jetzt mitten auf dem Gehweg in einem Wald. Ich suche nach Umrissen von Bäumen, vielleicht Sträuchern. Blicke ihn an, aber auch er hat sein vertrautes Aussehen verloren, sein Gesicht schimmert blass-gelb und erinnert mich an den Anblick menschlicher Haut kurz nach dem Eintritt des Todes.
"Hast Du Angst?"
"Ja."
Kaum ausgesprochen dreht er sich mir zu und sagt:
"Du gehst jetzt neben mir her. Ich werde Dich nicht anfassen, bin aber immer da, immer neben Dir. Vertrauen gegen Vertrauen."
Ich weiß, worauf das anspielen soll und es trifft mich ins Mark. Ich habe unser vorangegangenes Gespräch vor Augen, meine völlig unpassende Antwort auf eine wirkliche Herzensfrage. Die folgende Diskussion über eine Stunde. Was erwarte ich nur von den Menschen, die mich umgeben? Vertrau mir. Ja. So einfach. Ausgesprochen.
Ohne Widerspruch, im Wissen darum, dass der im Nichts enden würde, folge ich ihm. Es wird dunkler und die Dunkelheit bald zu Finsternis. Mit einem Herzen, das beschleunigt durch jede Faser meines Körpers hämmert, stolpere ich voran und versuche, nicht darüber nachzudenken, was passiert, wenn er sein Tempo anzieht. Wenn ich falle. Wenn aus dem Schwarz des Waldes eine Hand nach mir greift, ich heißen Atem im Nacken spüre oder ein rotes, leuchtendes Augenpaar mich anblickt.
Und dann versagen mir meine Beine. Ich kann nicht weitergehen, stoppe aprupt, mein Atmen ist schnell aber schwer geworden, von überhall her höre ich Geräusche, die mich noch mehr ängstigen.
"Nein. Bitte. Bleib stehen."
Er stoppt, kommt zu mir, nimmt meine Hände. Ich glaube, er sieht mich an und ich frage mich kurz, ob es wirklich sein kann, dass während ich nahezu blind bin, er mich und alles um sich herum sehen kann.
"'Was ist los?"
"Ich habe Angst."
"Wovor hast Du Angst?"
Ich überlege kurz, versuche, meine Worte gedanklich zu ordnen, als er seine Frage schon wiederholt.
"Wovor hast Du Angst?"
"Vor dem, was ich nicht sehen kann. Davor, dass Du einfach weggehst. Vor der Dunkelheit... (...ohne Dich, aber das spreche ich nicht aus)."
Jetzt nimmt er mich in den Arm, hält mich fest. Mir ist nach Weinen zumute.
"Siehst Du, genauso geht es mir. Genau das fühle ich auch, aber um ein Vielfaches schlimmer."
Komische Situation. Das erste Mal seit über einem halben Jahr wieder einigermaßen normal Gehalt zu bekommen, heißt, gerade genug Geld, um nicht schon wieder bei meiner Frau Sparkasse anrufen zu müssen um den Dispo zu erhöhen, und dann. Setze ich mich in mein geliebtes nachtblaues Auto, möchte den Rückwärtsgang einlegen und es gibt ein lautes KNACK, und obwohl ich mir sichtlich Mühe gebe- finde ich einfach kein Kupplungspedal. Jedenfalls nicht dort, wo es vorher war. Na ja. Es gibt schlimmeres als einEN gerissener Kupplungsdraht. Aber auch Feineres. Feiner wäre es zum Beispiel gewesen, einfach mal das Geld auf dem Konto zu halten. Oder es für etwas richtig Schönes auszugeben. 150 Euro, was noch geht, weil es der Schrauber meines Vertrauens und nicht irgendeine teure Werkstatt war. Und trotzdem.
Bei diesen Dingen denke ich dann unweigerlich an die geklaute Kamera und die zerbrochenen Spiegel.
Fast fertig schon. Hier und jetzt. In eineinhalb Stunden geht es auf die Bahn Richtung FFM und dann wieder Beiijing. Diesmal werde ich mir die chinesische Mauer ansehen und den Lama Tempel, in dem ich schon beim letzten Mal zur Ruhe kam. Und trotzdem.
Bliebe ich lieber hier um das zu machen, was ich mir einbilde auf jeden Fall machen zu müssen und, ich würde es auch tun, wenn ich nur bleiben könnte, ich hätte es ja auch in den letzten 11 Tagen machen können, so allerhand Dinge, Aktivitäten, diesmal würde ich es sicherlich tun und phänomenalen Spaß dabei haben, aber, ich muss ja weg.
Außerdem scheint zu allem Übel auch noch die Sonne, gerade heute. Toll, wenn ich weg muss scheint mal die Sonne. Toll. Wie? Die schien ja auch schon gestern? Ja? Ach ja. Hatte ich vergessen.
Na ja, wie auch immer, ich muss heute weg, möchte aber lieber bleiben.
Mein Vater würde jetzt sagen: Das Leben ist KEIN Wunschkonzert.
Wieder so ein Gerücht, mit dem mal aufgeräumt werden muss.
Das Leben ist ein Wunschkonzert. Ich habe mir nahezu alles so gewünscht, wie es in meinem Leben ist. Nichts hat sich von allein bewegt, ICH habe es bewegt. Dieses Wissen macht das Hadern überflüssig. Erkenntnis des Tages:
Passt doch alles.
Mach´s besser, wollte ich erst erwidern, oder, spar Dir doch ein Mal nur Deine scharfkantigen Worte, oder, wie, das verstehe ich nicht, erkläre es mir bitte, aber dann habe ich mir alles verkniffen und dachte, machmal gibt es einfach auch nichts mehr zu sagen oder zu verstehen, ich will auch gar nicht mehr verstehen, nicht alles und jeden, ich will jetzt einfach mal NUR mich verstehen.
Und mich habe ich verstanden. Diese erneute Begegnung nach über sieben Jahren war gut, nötig und überfällig.
Gestern dann habe ich auch nach viel zu langer Zeit mal wieder Rabenkrähen gehört, Hugin und Munin, Geist und Erinnerung, erst von Weitem, dann immer näher und näher.
Aufräumen tut gut, so gut. Schutt und Asche wegwischen oder manchmal auch einfach nur wegwehen lassen, Zeit und Wind erledigen das oft ganz von allein. Wenn sie nur gelassen werden. Mein Windschutz liegt zusammengefaltet im Abstellraum, vielleicht versteigere ich ihn bei einem dieser Auktionshäuser.
Und heute ist der Tag zumindest für mich noch zu jung. Ich bin müde und werde mich gleich im leisen Klopfen des Regens an meinem Fenster in mein Bett zurücklegen und ein wenig in Träumen baden.
Gute Nacht, äh, Tag, wie auch immer. Eine schöne Zeit für Euch, angekommen im Herbst- hurra!!
Wenn eine Putzfrau im Haus ist, dann ist meistens sie für alles veranwortlich, was nicht richtig läuft. Eine Teetasse fehlt. Seit zwei Wochen. Eine kleine süße rosa-weiße, als ob ich darauf stünde, na ja, ich suche sie verzweifelt und denke öfter als ein Mal, die hat bestimmt sie beim Putzen zertrümmert. Und gestern finde ich sie neben dem Bett, ach ja, hatte ICH für Cashewnüsse benutzt und genau dort gelassen. Hm.
Mein Baum, Bob genannt, weil mich seine Frisur an Bob Marley erinnert, den stellt sie immer wieder kerzengrade in seinem Topf auf. Dabei wächst er doch schief. Ein Mal, zwei Mal, dann eben einen Zettel rein: Der wächst so, bitte schief lassen. Als ich nach Hause komme steht er noch immer schief, mit meinem Zettel, auf den sie zusätzlich noch einen Smilie gemalt hat.
Heute dann finde ich mein Chinageld nicht wieder. Nein. Das liegt nicht an der Putzfrau, das liegt an meinem Schlampentum, versteht sich von selbst. Aber. Ich muss doch gestehen- mein zweiter Gedanke ging in ihre Richtung. Dabei glaube ich WIRKLICH nicht daran, dass sie irgendetwas auch nur hier wegnehmen würde. Und doch. Ist der Gedanke da. Wer hat mir nur mein Vertrauen geklaut und wann genau ist es abhanden gekommen?
Hm. Wieder ein Wochenende um und geschlagene elf Tage des Freiseins gehen ihrem Ende zu. Ich habe nichts getan. Ein Minigrippchen auskuriert, im Bett gelegen, telefoniert, ab und an Gedanken gedreht, gehadert, glücklich, müde und voller Elan. So ist das Leben wohl.
Ein Auf und Ab. Ein Glück und Unglück. Bunt und schwarz und weiß.
Und. Ich bin glücklich. Ich weiß längst, dass es Schlimmeres als das Leben gibt. Ich weiß längst, dass nicht alles so schlimm ist, wie ich es noch vor einigen Jahren angesehen hätte.
Schade nur, dass sich auch Werte davonmachen. Werte, Ansichten, Überzeugungen, Hoffnungen, Wünsche, Freunde und das Vertrauen. Doch, ich glaube noch immer. Ich vertraue noch immer. Ich habe auch noch Freunde, Wünsche und bunte Tage. Aber dosiert.
Das ist wie mit der Medizin, die Dosis macht das Gift.
Weniger Hoffnungen und Erwartungen. Heißt irgendwie auch: Weniger Enttäuschungen.
Trotzdem. Der Putzfrau traue ich.
Nur mir meiner Ordnung nicht.
Alle Stofftiere sitzen gedrängt in dem kleinen Wäschekorb neben mir. Alle außer des einen, Sülze. Sülze hat es verdient, nicht in den Wäschekorb zu kommen, schließlich ist er älter als das B. und hat Jahre über Jahre in einem alten Kleiderschrank ein ziemlich trostloses Dasein geführt. Bis ich in dieses Zimmer kam und ein Jaulen und Winseln vernahm. Nach ein paar Minuten hatte ich ihn gefunden, hinter einer Tür aus Sperrholz saß er, verstaubt und mit dem Schwanz wedelnd. Deswegen, und weil er jetzt nach der 30°Wäsche wieder sauber ist, darf er ins Bett. Für die anderen ist kein Platz mehr. Irgendwann haben wir sie verbannt. B. meint, sie hätten unsere Beziehung ruiniert. Ich muss immer lächeln wenn er das sagt. Obwohl es nicht wirklich lustig ist. Auch für die Stofftiere nicht.
Komische Tage sind das. Ohne wirkliche Aufgabe, ohne richtige Eingabe. Einfach vor mich hin tun oder eben nichts tun. Einzige Konstante, zwei Milchkaffee pro Tag. Sonst nichts. Es gibt Tage, die sind eben einfach. Sollte ich auch mal endlich lernen.
Ich war neunzehn als ich zum ersten Mal sah, wie ein Mensch starb.
Hinter mir lagen sechs Wochen des theoretischen Krankenpflegeunterrichts, ich hatte gelernt, wie man jemandem die Zähne putzt, den Körper wäscht, ihn bettet, füttert, Verbände macht, Akten führt, Befunde einheftet und so weiter und so fort. Man führte mich und die anderen durch die Klinik, auch in den Leichenkeller. Er war mir unheimlich. Nackte Wände, glänzende Metallflächen, neun Fächer für "Leichen", jeweils drei untereinander. Außen an den Fächern Namenskärtchen in farblosem Grün. Es war kühl dort, dumpfes Neonlicht flirrte über den gekachelten Boden und im Nebenraum konnte ich den Obduktionstisch erkennen, ebenfalls aus glänzendem Metall, um die Liegefläche herum eine Ablaufrinne. Es widerte mich an, mir vorzustellen, für welche Flüssigkeiten diese Rinne gedacht war. Ein modriger Gestank kroch mir in die Nase, ich kämpfte mit der in Wellen kommenden Übelkeit. Ich dachte darüber nach, dass ICH nicht dort enden möchte, nie. Ich dachte, ich möchte nicht in einem Kühlfach liegen mit Fremden, ich möchte nicht in einer Metallwanne vor mich hinfaulen, ich will nicht sterben, und wenn, dann so, dass nichts von mir übrig bleibt oder mich niemand findet.
Die sechs Wochen der Theorie vergingen wie im Flug und der erste Tag im Krankenhaus kam recht bald.
M55, unter den Angestellten des Hauses auch Sterbestation genannt, das aber sagte mir bis dahin niemand.
Ich machte Handlangerarbeiten, wie das in Ausbildungen wohl immer so ist, Kaffee kochen, putzen, aufräumen, Essen austeilen, abräumen.
Gegen Ende meines Dienstes sagte mir Thomas, ein kleiner, verkappter, stoischer Idiot, ich solle mal in Zimmer 552 der Dame etwas zu trinken geben.
Den Anblick werde ich nie vergessen und doch sollte es nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich so etwas sah. In dem viel zu großen Zimmer stand ein einziges, viel zu großes Bett. In diesem viel zu großen Bett lag eine alte Frau, die so zierlich und gebrechlich dünn wirkte, dass sie kaum zu sehen war. Kaum eine Erhebung der Bettdecke. Der Nachttisch war bis auf einen Schnabelbecher des Krankenhauses leer, keine Blumen, keine Briefchen oder Karten, keine Pralinen. Keine Bilder von Freunden oder Familie. Nichts. Nur diese hässlich grüne Schnabeltasse.
"Hallo Frau M., möchten Sie etwas trinken?"
Sie antwortete nicht. Ihre Augen waren in die linke Zimmerecke gerichtet, sie sah friedlich, fast lächelnd aus, in ihrer ganz eigenen Welt.
Ich versuchte es noch einmal. Zwecklos. Keine Antwort.
Dann nahm ich mit der einen Hand den Trinkbecher, mit der anderen hob ich sanft ihren Kopf an. Sie spitzte die Lippen und nahm einen Schluck.
Plötzlich öffnete sie ihren Mund, weit, für mich sah es so aus, als schnappe sie nach Luft, ohne sie in ihre Lungen zu ziehen, sie erinnerte mich an einen Fisch auf dem Trockenen. Ihre Augen wurden matt. Ich bekam Angst.
Ich sprach sie an. Ruckelte unbeholfen ein wenig an ihr. Nichts. Ich rannte auf den Flur zum scheiß Thomas. Stammelte etwas von, da stimmt was nicht. Ich glaube, sie bekommt keine Luft mehr.
Er grinste nur, ging mit mir in das Zimmer, sah sie kurz an, sagte, sie ist präfinal (?), und ging teilnahmslos wieder hinaus. Die Tür stand offen, mein Mund auch. Ich konnte nicht glauben, was hier vor sich ging. Dass ein Mensch sterben muss, hier und jetzt, ok, an meinem ersten Tag im Krankenhaus, auch noch ok, aber bei offener Tür und ganz allein?
Ich blieb einige Meter vom Bett entfernt stehen und war fassungs- und hilflos. Auf dem Flur ging das geschäftige Treiben weiter, Patient XY zum Röntgen, Patient Z zum Sono, für mich stand die Zeit still.
Langsam ging ich rückwärts zur Tür, um sie zu schließen, ließ das Bett nicht eine Sekunde aus den Augen und näherte mich wieder. Die Bewegungen ihres Mundes wurden langsamer. Ich zog mir einen Stuhl heran, setze mich neben sie und saß einfach nur. Ich hätte gern ihre Hand gehalten, war aber unsicher und ängstlich.
Und ich weiß nicht, wie lang es dauerte, vermutlich ging es schnell, nur mein Kopf hatte auf Zeitlupe umgestellt, dann aber war es still.
Ein letztes Atmen entwich ihren dünnen, sich bläulich färbenden Lippen. Und ich war allein mit ihr.
Da saß ich nun, neben einem eben gestorbenen Menschen, niemand war bei mir außer dieser Leiche, ich hatte noch nie einen toten Menschen gesehen, und sagte mir, entweder ich gehe und schmeiße alles hin, oder ich beschäftige mich jetzt damit. Ich meine, ich war neunzehn. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich im bisheringen Leben oder Unterricht gelernt hatte, wie der Tod aussieht, wie sich das hier anfühlen und ich damit umgehen kann, ohne durchzudrehen. Gehen oder bleiben, dachte ich, gehen oder bleiben?
Und ich entschied mich zu bleiben.
Ich war noch eine halbe Stunde in diesem Zimmer. Niemand vermisste mich. Niemand sah nach mir. Niemand nach ihr. Es gab nur noch sie und mich. Ich berührte ihre ledrige Haut, schloß ihre Lider über ihren matten Augen und letztlich. Wünschte ich ihr Alles Gute. Auf ihrer letzten Reise.
An diesem Tag verlor die Fratze des Todes ihre Maske.
Und ich meine Angst. Vor dem Sterben. Vor den leiblichen, leblosen Hüllen, die zurückbleiben. Vor dem Wort präfinal, vor dem letzten Geleit, das sehr oft nur ich geben konnte, weil einfach niemand sonst da war.
Angst. Allein zu sterben aber. Die habe ich noch heute. Im letzten AugenBlick meines Lebens niemanden zu haben, der mir liebend meine Hand hält.
Welch sinniger Einfall. Homepage Thomas Dybdahl zum Frühstück, Milchkaffee mit Vanille, und das Herz schwingt. Seit Elvis hat mich keine Stimme mehr so gerührt. Erinnerungen an ein Konzert der Extraklasse Ende April, Anfang Mai? Wann war das noch? Egal. Es war einfach großartig. Ein kleiner Schuppen, kühl und dunkel beim Betreten. In kürzester Zeit über und über mit Emotionen und begeisterten Menschen, glänzenden Augen gefü-h-l-lt, die Erinnerung kristallklar in meinem Kopf, den Kaesemann zur Rechten, seine Hand auf seinem Herzen.
I often wonder how exciting life would be
If only I would seize the opportunity
To break free of all conventions and comfort
But a worried face soon comes over me
So. Auf in den Tag. Der mich heute mich Glockengeläut und Rabenkrähen geweckt hat.
Liebe. Für alle. Und ein bisschen von der Sonne, die sich im satten Grün der sich im Wind wiegenden Trauerweide badet. Bis denn dann.
In der Sonne gesessen und aufs Meer auf den Rhein geträumt. Soviel zur Praxis. Über Gedankenbinden nachgedacht und neue Erinnerungslächeln auf das Gesicht gebracht. Noch einmal das Gedankenbinden überdacht, viel zu viel nachgedacht, damit aufgehört, damit das Lächeln seinen Platz behaupten kann.
Loslassen ist unerlässlich.
Loslassen.
Und Vergangenes vergangen SEIN lassen.
Auch Gedanken loslassen.
Soviel zur Theorie.
Die Praxis. Überdenke ich dann noch einmal.
Heute war ein guter Tag.
Der zäh begann und zäh endet, aber zwischendurch geschmeidig seine Runden zog.
Doch. Ich habe allen Grund. Zum ZufriedenSein.
Soviel zu Theorie.
Die Praxis.
Überdenke ich dann noch einmal.
Morgen. Oder so.
Soviel zur Praxis.
Mit Sonne im Lächeln
Lächeln im Herzen
Herzen in der Hand
Hand in Hand
Hand im Sand
Sand in den Haaren
Haaren im Wind
Wind im Gesicht
Gesicht an Gesicht