Vom Lieben und Leben

Samstag, 13. Oktober 2007

Ein letztes Winken

Es war wieder einer dieser Tage, an denen schon morgens beim Augenaufschlag zu merken ist, dass irgendetwas nicht stimmt. Oder sogar, dass nichts stimmt. Einer dieser Tage, an dem nichts gut läuft, laufen wird.

Ich war Perfektionistin darin.

Ich schlug die Augen auf, nachdem ein nicht enden wollender Traum mich gerädert hatte. Ein Traum von Kermit dem Frosch und einer großen, in der Dunkelheit stehenden, ohrenbetäubenden Lärm erzeugenden Maschine, die einzig und allein dazu da war, Menschen langsam und blutig zu zerquetschen. Kermit, dieser Verräter. Vor der Maschine stehend, mit seiner piepsenden Quäkstimme, nur ein Satz: „Aber Moment, ich habe hier noch einen.“ Er tauchte in meiner Traumlandschaft auf, seitdem ich mich erinnern kann. Früher nur, wenn mich mal wieder kindliches Fieber bis hin zur Halluzination gequält hatte. Immer wiederkehrend: diese Maschine, mein entsetzter Blick darauf, Schreien, matschig-schweres Brechen von Knochen und ein ganz furchtbar bleiernd, schmerzendes Drücken, als hätte mir jemand meinen Kopf in den Schraubstock geklemmt und würde nun genüsslich langsam den Hebel anziehen. Auch jetzt wieder, hier in diesem Moment, ist dieses Gefühl so wirklich, dass ich innehalten muss und ein paar Mal den Kopf schüttele.

Kermit also. Ja. Früher nur bei Fieber sein sadistisches Spiel spielend, tauchte er nun nur noch auf, kurz bevor mich ein schlechter Tag erwischen sollte.

Ich lag im Bett, versuchte, das Drücken hinter den Schläfen loszuwerden und mich ein bisschen zu ordnen. Blickte in den hellen Hinterhof auf die nackten Zweige der sonst so grünen Bäume. Ach ja, auch das noch. Winter. Der Winter war nicht mein Freund, der Traum hatte mir zugesetzt und zu allem Übel fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, neuen Espresso zu kaufen. Na toll.

Ich stand also auf, streckte mich und beschloss, erst einmal duschen zu gehen. Es war schon spät, in etwa 18 Uhr. Ich steckte mitten in einem Nachtwachenturn, die vorangegangenen Nächte auf der Intensivstation waren ruhig verlaufen. Das einzig wirklich Nervende, immer wieder Nervende daran war, dass ich mit einer mir ungemochten Kollegin arbeitete. Sie redete viel zu viel und meistens derart hohles Zeug in sächsischen Akzent, dass es mir Stiche im Kopf versetzte. Na gut, eine Nacht noch, dann würde ich erlöst sein. Eine Nacht noch einen Hindernislauf durch sächsische Dummdörfer absolvieren, nicht mehr.

Die Dusche weckte meine Geister. Ich verharrte ungewohnt lange unter dem warmen, weichen Strahl und lockte Leben in jede fasrige Ecke meines Körpers. Scheiß auf Kermit. Dieser Tag würde mich genauso schnell wieder loslassen, wie er mich erwischt hatte.

Gegen 19:30 Uhr stieg ich fast gutgelaunt ins Auto und hatte bis auf einen kleinen, kaum merkbaren Druck im Kopf, nahezu keine Erinnerung mehr an meinen gehassten Frosch und seine vermeintliche Symbolik.

Und nur 15 Minuten später bog ich auf den Wirtschaftshof des Krankenhauses ein, lenkte mein nachtblaues Auto in eine sehr nahe Parklücke, freute mich darüber, meiner Faulheit diesbezüglich einen Gefallen getan zu haben und stieg, mit Lars am Handy redend, aus dem Auto.

Und es dauerte eine Weile, bis meinem Kopf einging, was meine Augen sahen. Erst nur im Augenwinkel Bewegungen wahrnehmend blickte ich schließlich ganz hin. Das Auto, den Porsche, der dort an der Laderampe stand, die Beifahrertür weit geöffnet, erkannte ich sofort. Es war der Wagen der Frau unseres Oberarztes. Ein Internist. Ein Mensch. Ich sage das deswegen so ausdrücklich, weil es leider traurige Tatsache ist, dass es viel zu wenig, ethisch und moralisch feine Menschen gibt, sowohl im Arztberuf als auch im wahren Leben.

Und daneben... gleich ein paar Meter weiter, so nah, dass mir in der Nachsicht klar war, dass er diesen Weg nicht gegangen sondern gezogen worden war,
ein lebloser Körper, an dem bereits eine Heerschar medizinischen Personals mit der Reanimation beschäftigt war.

„Oh nein. Bitte nicht“ schoss es mir durch die Gedanken. Ein froschgrünes Blitzen vor meinem geistigen Auge, ein unerträglicher Druck hinter den Schläfen. „Oh nein, bitte nicht, bitte lass es seine Frau sein.“

Ich weiß natürlich, dass das ein verwerflicher Gedanke war. Ich weiß auch, dass man das niemandem wünschen soll. Sollte. Eigentlich. Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings sagen, möchte ich sagen, dass seine Frau schon seit langen Jahren sehr schwer krank war. Ein Schatten ihres Selbst. Abgemergelt und schleppend atmend. Labbrige Haut an ihrem Körper, langsame, schwerfällige Bewegungen. Dieser Gedanke lag also nah, und vor dem Hintergrund meiner Zuneigung zu diesem Oberarzt so nah, dass ich kaum atmen konnte.

Doch, ich glaube, ich bin hingerannt. Genau weiß ich nicht mehr, ob meine Atemlosigkeit vom Laufen oder der Angst kam, die mir jeden Schritt so tonnenschwer erscheinen ließ.
Dort stand ich nun. Ich brauchte nur zwei Blicke in sein Gesicht. Beim ersten musste ich mich vergewissern, dass tatsächlich er es war, der dort unten, bewegt von den ihn umgebenden Menschen, lag. Wie fremd einem doch ein vertrautes Gesicht erscheint, sobald die gewohnte Mimik gewichen ist. Doch. Es war nicht seine Frau, es war er.
Der zweite Blick bestätigte mir das, was mir so unbegreiflich erschien, nämlich, dass dieser Mensch tot war. Und bleiben würde. Alle Spannung, die das Leben hervorruft, in Körper und Geist, war verschwunden. Meine Augen glitten über seinen Körper, fast musste ich lächeln, denn er hatte wie immer farbig passende Socken zu seinem Hemd an, die Haare lagen geordnet am Kopf. Nur seine Augen. Seine Augen verdeutlichten mir, worum es hier wirklich ging. Sie waren ganz geöffnet, blickten starr ins Nichts, ich meine, nicht durch irgendetwas hindurch, nicht starr auf irgendetwas, sie blickten einfach ins Nichts. Ich stand dort, konnte nicht glauben, wollte nicht glauben, was dort geschah, und bis heute frage ich mich, welche Augenfarbe er eigentlich hatte und wie es verdammt noch mal sein konnte, dass ich so oft hineingeschaut hatte, ohne mich an die Farbe seiner Augen erinnern zu können. Blau? Grün? Nun hatten sie gar keine Farbe mehr, keinen Glanz, sie waren milchig-stumpf wie die Augen eines sehr altersschwachen Hundes.

Vielleicht ertrug ich es nicht. Vielleicht wollte ich aber auch einfach alles vorbereiten, vorbereiten für ihn, für seinen vermeintlichen Weg zurück ins Leben, den ich mir so sehr wünschte, der mir unverzichtbar erschien. Für ihn. Für mich.

Ich rannte auf die Station. Ich schrie, doch, ich schrie. Völlig außer Atem schrie ich dennoch. Wortfetzen: „Schlaui. Tot. Reanimation. Hilfe. Beatmungsgerät. Schnell. Bitte schnell.“

Wir versuchten, schnell zu handeln. Es war für mich überwältigend zu sehen, wie gefasst und ruhig alle arbeiteten. Alles lief wie immer, obwohl jedem klar war, dass das hier nicht annähernd wie immer war. Wir arbeiteten und wir kämpften. Wir wechselten uns gefasst fassungslos ab. Alle wollten ihr Bestes geben, gaben ihr Bestes. Der Schweiß lief mir den Rücken herunter, in die Unterwäsche, bis in die Socken. Die Luft erschien mir stickig, zu stickig, als dass ich gut hätte atmen können. Ich stand auf einem Stuhl vor dem Bett, in dem er lag, über ihn gebeugt. Drücken und hoffen. Und hoffen. Drücken. Und zwischendurch seine Stimme in meinem Ohr, so als würde er nicht unter meinen Händen liegen sondern direkt neben mir stehen: „Mädchen, was machste denn da? Das bringt doch nichts mehr. Wir hören auf.“ Ich musste an die Situationen mit ihm denken, in denen er in der Lage war, das Sterben eines Patienten als gegeben hinzunehmen. Es anzunehmen. Und diesen Menschen gehen zu lassen. Gehen lassen zu können.
Ich sah ihn an und dachte daran, dass einem solchen Menschen, ihm, ein ebensolches Sterben zustehen sollte. Das EKG zeigte weder Reaktion auf die vielen Medikamente, noch auf die Herzdruckmassage. Nichts. Plötzliche Albtraumbilder stiegen in mir auf. Wir holen ihn doch zurück. Sein Herz schlägt wieder. Er wird aber nie wieder wach. Hypoxischer Hirnschaden. Die letzten Monate, Jahre seines Lebens, zu einem Pflegefall verdammt. Und all diese Gedanken wieder in froschgrünes Licht getaucht.

Hilfe suchend blickte ich den diensthabenden Oberarzt an, den ich noch nie hatte leiden können. Uns verband eine Abneigung, wie sie tiefer nicht hätte sein können. Doch hier und jetzt wollte ich mich vor ihn stellen, ihn anflehen, wenn es sein musste. Bitte. Aufhören.

Nach einer Stunde geschah genau das. Wir hörten auf. Ein kurzer, stiller, atemloser Moment, dann Weinen. Ich schloss die Augen. Meine Schultern, mein ganzer Körper schmerzte. Ich atmete im Schutz meiner gesenkten Lider ein, wieder aus und sah mich um.
Jeder weinte. Kein Wort von irgendwem. Geballte Trauer die Nacht hindurch. Letzte Wünsche, letzte Berührungen, Tränen. Für einen Menschen, dessen Weggang bis heute eine Lücke hinterlässt. Für einen Menschen, bei dem ein jeder lächeln muss, wenn die Erinnerung an ihn die Gegenwart trifft.

Die restliche Zeit dieser Nacht schleppte sich mühsam durch die Gänge. Meine ganze Energie blieb mit jedem Schritt, den ich tat, am Boden kleben. Mir war alles egal. Der mir verhasste Oberarzt, die dummdreiste Kollegin, niemand berührte mich noch. Später, als alles still war, die Beatmungsgeräte surrten monoton über die Station, ging ich noch einmal in sein Zimmer.
Ich schloss die Tür, holte mir einen Stuhl, setzte mich neben sein Bett, berührte seine Hand. Ich werde nie verstehen, wie es sein kann, dass ein Körper so lang noch nach dem Weichen des Lebens warm sein kann.

Ich sah ihn mir an, er wirkte jung, viel zu jung. Eigentlich hatte ich ein angestrengtes, von der Tortour gemartertes Gesicht erwartet, aber alles war friedlich. Er war friedlich. Und beim genaueren Hinsehen erkannte ich ein zufrieden-glückliches Lächeln.

Noch heute beim Aufschreiben, fast zwei Jahre später, begleiten mich Tränen bei jedem Wort. Noch heute erwarte ich, wenn ich durch das Krankenhaus laufe, in jedem Flur seinen gemächlich schlurfenden Gang.
Noch heute fehlt er.
So soll das sein. So soll das bleiben.

Kermit bin ich seit dieser Nacht ein für alle Mal los.
Ich saß dort neben dem Bett und habe, nachdem ich ein paar Herzens- und Abschiedsworte gesprochen hatte, eine Ansage an das grüne Monster in meinem Kopf gemacht.
Vielleicht war es der richtige Zeitpunkt, vielleicht der richtige Ort, vielleicht aber auch die Entschlossenheit in meiner Stimme, gestärkt durch die vergangenen Stunden.
In der Stille des Augenblicks hatte ich, heimlich, meine Angst vor dem Sterben, die Angst vor dem Tod, verloren. Trotz aller Schwere, die diese Stunden mit sich brachten, ich fühlte mich leichter denn je.
Keine Angst mehr. Erst recht nicht vor grünen Stoffpuppen, die stets von rosa Schweinen durch die Luft gepfeffert werden. Und ich pfefferte ihn hinaus. Hinaus aus dem Raum, hinaus aus meinen Träumen, aus mir. Soll sich auch weiterhin Miss Piggy mit ihm abgeben.

Und wieder: „Abschied, ach ja!“
846 mal durch die Augen ins...

Montag, 5. Februar 2007

Dieser Blick

"Für diesen Blick würde ich Morde begehen. Wahrscheinlich."

Für diesen Blick würde ich Morde begehen.
Sicherlich.
Für diesen Blick würde ich weiter gehen.
Das kann ich sehen.
Diesen Blick würde ich spüren wollen.
Sicherlich.
Das wird gut. Das sehe ich.
Dieser Blick!
Diesen Blick wollte ich.
Nur für mich.
Diesen Blick wollte ich nie.
Spüren ja. Schützen. Nein.
Sollte halt so - nicht - sein.
Aber auch das.
Konnte ich sehen.
Habe es nur vergessen
zu erwähnen.

Dieser Blick
war nie für DICH.
Tröstlich. Für mich.
964 mal durch die Augen ins...

Mittwoch, 31. Januar 2007

LISTE

listethailand
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Freitag, 26. Januar 2007

Einzig

leni2
nicht mehr wichtig
was war
nur
was ist
damit es besser
sein kann
als es war
damit diese Augen
ungebtrübten Blickes
den AugenBlick
leben
lieben
und das Lächeln
sein kann
bleiben kann
nicht schwer
denn
was wiegt mehr?

Grüße an meine Bella und Leni, die Gesundheit und die kleinen Finger in meiner Nase
912 mal durch die Augen ins...

Samstag, 20. Januar 2007

Was war, was bleibt

Tote Regenwürmer auf der überschwemmte Terasse. Mein rechter Schneidezahn, der mir beim Versuch, als Mini an den Wasserhahn zu springen, an der Schrankkante abbricht. Ein Traum vom Ballerina werden. Der in der Tür gebrochene Finger. Mein Bruder, der ein Jahr lang jede Nacht weinend in mein Bett gekrochen kommt. Die Pudelin, mit der ich Spaghetti teile. Schreie, Bellen, blutige Hände, Krachen, Poltern. Geklautes Geld und massenhaft davon erstandenes Eis in Jugoslawien. Wasser, Atemnot, den Anblick der Wasseroberfläche, aber vom Grund aus, beobachten, strampeln, Arme, die mich an die Luft ziehen. "Fuchs" kann ich nicht lesen. Ein Tag ohne Essen und ins Zimmer eingesperrt. Knödel kann ich nicht essen, Würgen bis hin zum Erbrechen und ein Resttag ohne Essen. So sind hier die Strafen.
Das Fahrgeräusch des Autos, mit dem mein Papa abends nach Hause kommt. Leise ans Fenster klopfend, meinen Zeigefinger auf den Lippen, psssst, Mama nichts sagen, zur Nacht winken. Tagsüber nur Mama, in meinen Träumen Papa.
Streit, schlaflose Nächte, Angst, zerbrochene Türrahmen, zerbrochenes Geschirr, an der Treppe sitzend passe ich auf, damit nichts passiert- mit fünf Jahren. Mit vierzehn ist es vorbei. Endlich. Wie wir beide finden. Und doch spät.

Was geblieben ist?
Die Liebe. Trotzdem. Das Herz ist ein dehnbarer Muskel.
Die Schlaflosigkeit bei lauten Stimmen in der Nacht.
Die Knödelaversion. Und zeitweise auftretene Essstörung (wer hat die nicht?).
Das Weglaufen. Laufen. Weg. Meist zu spät. Aber früh genug, bevor es - für wen? - zu spät ist.
Und das Wissen darum, dass alles irgendwann gut wird. Wenn ich nur ausharre. Und glaube. An mich. An Euch. Und doch- das tue ich.
An das, was bleibt.
866 mal durch die Augen ins...

Dienstag, 16. Januar 2007

Ein anderer Mensch

Ich sehe mir erneut die Wand an, verwundert. Bilder, Papierfetzen, Zeitungsartikel, ein Zettel mit einer Pinnummer, darauf in roten Lettern: happy. Wie lange mag das her sein? Fröhliche Gesichter. Lachende Münder. Bunte Farben. Photos, mit Heftzwecken und Nadeln an die Tapete gepinnt. Alles. Vergangenheit.
Mit Haaren, ohne Haare.
Wirklich, gebe ich kleinlaut von mir, mit Haaren bist Du ein ganz anderer Mensch. Passt irgendwie gar nicht mehr.
Das sage ich ja auch immer denen, die mich davon überzeugen wollen, mir wieder Haare wachsen zu lassen, sagt er zustimmend.
Nein, das passt wirklich nicht mehr, denke ich heimlich. Und überlege, ihm zu sagen, dass ich den Mann mit Haaren gern einmal kennengelernt hätte. Damals. Weil mich sein Anblick mit Wärme erfüllt.
Aber ich sage nichts. Wie so oft wenn es um ihn geht. Beiße mir innerlich auf die Lippen und sehe aus dem Fenster. Es regnet. Schon wieder, denke ich. Das ist komisch. Wirklich komisch.
xxx
Aus großartig wird gut. Aus schön wird gut. Aus bezaubernd wird gut. Aus phantastisch wird gut. Aus wahrhaftig wird gut. Aus "glücklich mit Dir" wird gut.
Gut, denke ich, ist ein ähnliches Wort wie NETT. Nettes Hinterteil haben Sie da. Ja danke, es ist gut, dass ich es habe. Oder so ähnlich.
864 mal durch die Augen ins...

Freitag, 5. Januar 2007

Simple Together

simple: arglos, ehrlich, einfach, einfältig, gutbürgerlich, schlicht, töricht
together: aneinander, beisammen, gemeinsam, miteinander, zueinander,
zugleich, zusammen


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869 mal durch die Augen ins...

Mittwoch, 6. Dezember 2006

Nie dagewesen

Es war ein stiller Moment gewesen. Bis dahin. Er saß wie so oft im Bett auf der Suche nach Gedanken, die er einfangen und festhalten konnte. Es schien schier auswegslos. Draußen fielen seit Tagen Regentropfen mit dumpfem, beruhigendem Plopp auf das Vordach und gegen die Fenster, frische Herbstluft drang in das Zimmer.
Sie sah ihn an. Er saß vor ihr, angelehnt, die Beine angezogen, hinter ihm seine Vergangenheit, scheinbar völlig zusammenhanglos an die Wand genagelt, gesteckt, Photos, kleine Briefchen, sogar die Pinnummer einer Bankkarte, darauf handschriftlich in roten Buchstaben "happy". Wie lange mochte das her sein?

"Ich lebe im Jetzt, ich plane nicht." Diese Worte, seine Worte, waberten in ihren Hirnwindungen umher, sie fühlten sich mitunter gut, manchmal sogar wahr an, aber in solchen Momenten wie jetzt schlugen sie von innen gegen ihre Schädeldecke und verursachten diesen sturen Kopfschmerz, den sie dann oft tagelang nicht loswurde. Ein leises Schnauben schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Er rieb sich die Schläfen, zog sich die Kapuze des Pullovers über den Kopf und faltete die Hände vor seiner Nase und seinem Gesicht, schloss seine Augen um sie gleich darauf wieder zu öffnen und blickte sie an. Leere. Nichts als Leere, dachte sie still.
"Ist alles gut?"
"Nichts ist gut."
"Was ist denn? Bist Du traurig?"
Er nickte, hielt kurz inne. "Ich kann nicht schreiben. Eine Blockade. Schon seit Ewigkeiten."

Sie spürte, wie ihr Dauer-gute-Laune-Ich sich wieder an die Oberfläche zu boxen versuchte. Sie hasste das. Wann hatte das angefangen? Sie war lustig. Sie wollte gefallen. Sie wollte sich leicht geben, selbst wenn es in ihr zerriss und ihre finstersten Gedanken Ping Pong mit ihren tiefsten Ängsten spielten.

"Hm. Ich wäre gern Deine Muse. Was soll ich tun?"
Sie war in seine Nähe gerutscht und griff nach seiner Hand, die er sofort entzog.
"Du willst meine Muse sein?" Bei der Art und Weise, wie er diese Worte aussprach, wurde ihr kalt. Durch enge Augen sah er sie an. Und wartete.
"Ja, möchte ich. Andere Künstler hatten auch ihre Musen." Sie versuchte zu lachen, aber es blieb ihr in der Kehle stecken und ließ ihr kaum Luft zum Atmen.
"Überleg dir das gut. Musen werden benutzt und danach einfach weg geworfen. Als wären sie nie dagewesen." Er wendete seinen Blick ab und verschwand wieder in seinem Schweigen.
Es war ruhig, es wurde dunkel, ihr war kalt, zwischendurch kam die Katze, die sie von der Heizung aus schon länger beobachtet hatte, legte sich auf ihre mit Gänsehaut bedeckten Unterarme, als wollte sie sie wärmen. Hey Prinzessin, dachte sie, würdest Du jemanden wegwerfen, von dem Du behauptest, ihn zu lieben?

Nie dagewesen. Diese Worte geisterten noch den verbleibenden Abend und die Nacht über in ihrem Kopf umher. Sie schlief allein ein, sie wachte allein auf. Er immer neben ihr. Und doch. Nicht anwesend. Im Leuchten des neuen Tages und im Klopfen der Regentropfen sah sie ihn an, beobachtete seine ruhigen Atemzüge, seine schön geformten Lippen, versuchte, noch einmal nachzufühlen, wie es war, als er sie zuletzt geküsst hatte, freiwillig. Ohne dass sich ihre Lippen zuvor gespitzt hatten. Ohne, dass sie darum bat.
Wie bemitleidenswert, dachte sie, wie ärmlich ich mich benehme. Sie stand auf, ging leise nach unten, gab der Prinzessin ihr Frühstück und saß in dem gelben Licht der zerbrochen dreckigen Glasscheibe auf der Holztreppe.
Immer so, dass Du Dich selbst im Spiegel noch ansehen kannst, hörte sie ihren Vater leise hallen.
Ich weiß doch, antwortete sie ihm, aber ehrlich, das mit dem Spiegel ist schon seit Tagen vorbei. Ich sehe mich nicht nur nicht mehr an, ich sehe mich gar nicht mehr.
Das steht Dir überhaupt nicht, sagte ihr Vater traurig, es steht Dir nicht und es passt nicht. Nicht zu Dir, nicht in Dein Leben.
Ach Papa, antwortete sie, ein wenig zu laut, denn die Prinzessin sah verwirrt zu ihr auf.

Sie ging auf Zehenspitzen wieder hoch, stellte sich vors Bett, sah ihn an, wie er schlafend und zufrieden mit halb geöffnetem Mund auf dem Rücken lag. Die Ruhe selbst, dachte sie, meine Ruhe selbst.

Es war ein stiller Moment gewesen. Bis dahin. Als ihr Auto aus der Auffahrt rollte sah sie die Prinzessin vor der Haustür sitzen, ein Specht hämmerte am Nachbarsbaum seinen Takt, in ihren Gedanken der von ihr hinterlassene Zettel, der auf der Holztreppe zwischen all den Rechnungen, alten Zeitungen, Briefen und Cd-Hüllen lag und darauf wartete, gefunden zu werden. Wie groß war die Chance, dass er diesen Brief finden würde, in all dem Chaos?
Gering, dachte sie noch, sehr gering.
Wie gut, dass es hier nur um Deine Chance geht, triumphierte ihr Vater.
Und bei diesen Worten machte sie sich groß und sah ihre leuchtenden Augen im Rückspiegel.
849 mal durch die Augen ins...

Montag, 4. Dezember 2006

Schwarz auf Rot

-gluecksengel-3

Wenn ich könnte
würde ich Dich jetzt
einfach mal
in den Arm nehmen
sagen
was Du mir bist
wünschen
was ich Dir sein darf
Sein
Dir
mir
was ich mir wünsche
Wünsche vergessen
und glauben
an Vertrauen
und vertrauen
dem Glück
das
jeden Tag Schwarz
gepunktet
auf Rot
vor unseren Augen
landete
844 mal durch die Augen ins...

Mittwoch, 14. Juni 2006

DIE KUNST DER REDUKTION

okay, das ist zwar nicht meins, trifft den nagel aber auf den kopf

"die kunst der reduktion"

was wohl vor allem ruhe bedeutet.

nicht die bekannte ruhe vor´m sturm,
auch nicht die ruhe durch andere menschen in meinem leben.

ruhe durch betriebsbedingte stilllegung, vorübergehend, PAUSE.

genug des wartens auf irgendwen, irgendwas oder was weiss ich.

hand in hand mit mir selbst,
so könnte es gehen.

und ach ja,

nur so!
835 mal durch die Augen ins...

Lahoiha

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lahoiha - Do, 22. Jan, 10:59
Loving You
Ja, wieder ein YT-Video, ABER mit HerzMusik. Paolo...
lahoiha - Do, 22. Jan, 08:56
Weil alles gut wird
und ich daran glaube. Und ich nichts dafür kann. Können...
lahoiha - Do, 22. Jan, 08:20
Hey
Dein Logo-Bild da oben ist toll! Es bedeutet SCHWANGER!
404 - Mi, 21. Jan, 20:35
Ich sag es mal so
wie es ist. Ich bin sowas von saumüde. Und das ist...
lahoiha - Sa, 11. Okt, 00:32
Fliegen leicht gemacht!
Mal nichts denkend laufe ich durch die Straßen und...
lahoiha - So, 21. Sep, 16:44
Wenn Träume fliegen lernen...
wird es einfacher.
lahoiha - Do, 18. Sep, 22:21
I need a political painter.
When can you start?
Adam (Gast) - So, 14. Sep, 02:15
oh gott. und das mir....
oh gott. und das mir. hättens vorher gefragt... ;)
schneck06 - Mi, 10. Sep, 00:10
Noch Fragen?!
Streichst Du einen Schrank solltest Du zu allererst...
lahoiha - Mo, 8. Sep, 23:28
Hallo Alex! Wie immer...
Hallo Alex! Wie immer sind deine Texte herrlich zu...
Magnus Antonius (Gast) - Mo, 1. Sep, 13:09
Wieder-Sehen
Ich treffe sie heute zum vermeintlich ersten Mal. Sie...
lahoiha - Mi, 27. Aug, 22:00
Neulich, also, heute...
lahoiha - Fr, 22. Aug, 23:43
It´s always been you
lahoiha - Mo, 7. Jul, 16:38
...
Aus einem jahrelangen gemeinsamen Leben zwei machen....
lahoiha - Fr, 30. Mai, 10:24
Wo?
Wie und vorallem Wann? Austauschen, eintauchen, lachen,...
Tantoe - Mi, 21. Mai, 20:39

Status

Online seit 6623 Tagen
Zuletzt aktualisiert: So, 13. Sep, 00:34

Gezählt

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