Athene

Athen ist kalt, nicht so kalt wie Deutschland im Dezember, aber kalt. Ich sitze in der Bahn, fahre wie mir scheint von einem Ende der Welt zum anderen und das auf direktem Weg. Vorbei an glitzerndem Meer und wogenden Palmen, inmitten von Stimmengewirr und dem monotonen Summen der Neonröhren über mir. Mein Kopf tut etwas weh, die Nacht war zu kurz, der Flug zu lang, aber, hier bin ich, in Athen, der Stadt der Philosophen.
Ich weiß nicht genau, was mich erwartet, ich mache es einfach wie immer, einen Flug- oder Bahnfahrplan, ein ungefähres Ziel mit halbgaren Vorstellungen, uns sonst keinen Plan.
Also steige ich in der Nähe von Plaka, dem historischen Zentrum Athens, aus und halte mich links. Der mich als typischer Tourist enlarvende Stadtplan ist mir bereits in der Bahn in drei Teile zerrissen, die ältere Dame, die mir gegenüber saß, lachte leise hinter ihrer dicken, braunen Sonnenbrille.
Ich trinke einen Kaffee in diesem amerikanischen Kaffeespezialitätenhaus, das es in Athen wirklich nur ein einziges Mal gibt, und danach mache ich mich auf in Richtung Akropolis. Recht schnell finde ich mich in alten, verwinkelten, mit Wein und Ranken verwachsenen, warm gelb, rosa und rot gestrichenen Häusergassen wieder.
Vor einer Ruine bleibe ich stehen und suche angestrengt nach einem Schild, was mir sagt, womit ich es zu tun habe, als ich plötzlich hinter mir höre:
"Do you wanna know, what that is?"
Ich blicke mich um und sehe einen alten, haarlosen, dicken, auf einem Fahrrad sitzenden Mann, der mich durchdringend mit seinen blauen Augen ansieht. Ich erinnere mich an Kairo, dort wollte mir jeder zweite ein Kamel, Pferd, T-Shirt oder einen Guide verkaufen, und kneife wohl, weil ich nun ebenfalls so etwas vermute, die Augen zu leichten Schlitzen zusammen. Er scheint das bemerkt zu haben.
"No, no, dont worry, I am not a guide. I am just a citizen."
Da steht er nun, 61 Jahre alt, Peter V., nasetriefend erzählt er mir, dass das hier die alte Bibliothek Athens´sei. Er trägt eine alte, ausgewaschene Armeejacke und eine passende Mütze, eine unsaubere Trainingshose und einen grauen Schal, der ihm als Taschentuch dient.
Schnell merke ich, dass hier ein belesender, witziger Mann am Werk ist, der in seinen Erzählungen aufgeht und mit Genugtuung meine interessierten Augen wahrnimmt.
Er lebt mit nur kurzen Unterbrechungen seit seiner Geburt in Athen, spricht fließendes Englisch und ein paar Fetzen Deutsch, nach und nach gibt er Bruchstücke seines Lebens preis, Philosophieprofessor, er fährt täglich ein paar Stunden mit dem Fahrrad durch Athen, hat selten Kontakt zu Menschen, seine Mutter starb bereits 1968, sein Vater noch früher, der kleine weiße Hund, der ihm so ans Herz gewachsen war- vor ein paar Wochen erst. Er hat weder Geschwister noch Verwandte, geblieben sind zwei Katzen, die nur zur Fütterung kommen, und ein altes Haus, das für ihn allein zu groß ist und das er nie aufräumt. Er sagt, es sei alles einfach zuviel Platz, dabei bräuchte er für sich allein gar nichts außer zwei Zimmern, einen Kühlschrank und ein Bad. Er hätte 8000 Bücher, Apartements in Athen und zwei Oldtimer. Nach und nach beginne ich an dem Wahrheitsgehalt dieser Worte zu zweifeln, jedoch keine Sekunde an der gegenseitigen Freude, die uns unsere Begegnung schenkt. Er erzählt mir, während wir im schwindenden Tageslicht vor der Akropolis stehen, wie Athen zu seinem Namen und das Poseidon in diesem Fall den Kürzeren zog.
Er hätte früher oft Frauen kennengelernt, sich aber immer wieder für das Alleinsein entschieden, weil es ihm so schwer schien, Kompromisse zu schließen und einen gemeinsamen Weg zu finden, der nicht zwangsläufig einsam macht. "Gemeinsam einsam" denke ich, sage es aber nicht.
Heute, fügt er leise hinzu, könnte er sich heute noch einmal entscheiden, er würde so einiges anders machen. Und er hat Angst, für den Rest seines Lebens allein zu bleiben, allein zu sterben.
Dieser kleine Mann, der zwar ein Haus hat, das viel zu groß ist, aber auch einen Ausweis, auf dem "Roofless" steht, damit könne er umsonst die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, fügt er leicht beschämt hinzu, begleitet mich an diesem Tag vier Stunden lang.
Am Ende dieses Tages sitzen wir in einem Café, er gibt mir seine Adresse und sagt, er würde sich über Post sehr freuen. Wenn es mal passt.
Und es passt.
Ich bin dankbar.
Zum Schluss ruft er mir noch hinterher, wie wichtig es ist, auf die Gefühle zu hören anstatt immer nur zu denken.
Wie wahr, fühle ich noch, als ich lächelnd in die Bahn steige.

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363 mal durch die Augen ins...

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