Rind oder Hähnchen?

Leider ist es so, dass die FG, für die ich arbeite, niemals und das auch aus nachvollziehbaren Gründen, essentechnisch für jeden Gast eine Auswahl hat. Was zum Beispiel genau bedeutet, dass bei 240 Gästen 90 von ihnen Hähnchen mit Reis, die anderen 150 Rind mit Kartoffeln speisen können, sofern sie wollen. Wer auch immer es so will, nach ungefähr 100 abgefertigten Gästen ist meistens abzusehen, dass niemand das sowieso schon rar vorhandene Rind möchte, sondern durch die Bank alle das leckere Hähnchen. Egal ob es lecker ist oder nicht- vielleicht spricht es sich auch einfach leckerer aus,Chicken please, nach 70 Hähnchenbestellungen bekomme ich Schwitzattacken und bei Erreichen der 88 möchte ich am liebsten das Flugzeug verlassen. Gut. Es tut mir wirklich sehr leid, weil, ich bin ja meine FG und grad mal vor Ort, aber leider gibt es keine Auswahl mehr.
Nicht jeder Gast nimmt das mit Gelassenheit. Niemand weiß außerdem, wie lange dieser Mensch nun schon durch die Gegend fliegt, wie oft er Verspätungen ertragen musste, Flugstreichungen, fehlende Koffer, nervtötende Sicherheitskontrollen oder erbrechende Mitpassagiere.
Ein "Wort"wechsel kann dann unter Umständen auch so laufen (auf dem Flug von Frankfurt nach Cairo erlebt, am eigenen Leibe, versteht sich von selbst):
ICH: Es tut mir wirklich sehr leid, aber ich kann Ihnen leider keine Auswahl mehr anbieten. Es gibt nur noch das Rind.
ER *holt Luft*: DAS IST MIR TOTAL EGAL. Es ist Ihre Pflicht, mir eine Essensauswahl anzubieten.
ICH *könnte jetzt schon draufhauen*: Wirklich, das tut mir leid, aber das Hähnchen ist aus und somit auch die AusWAHL hier in der E-Class. Ich könnte aber...
ER: *unterbricht mich schreiend*, was weiß ich denn, was.
Ich lasse ihn sitzen, flüchte in die Küche, denke an das berühmt-berüchtigte Heuwägelchen 1-2-3 und gehe zurück in die Kabine, gefasst auf alles, was mich treffen mag, inklusive Beschimpfungen und halbvoller Gläser.
ICH: Lieber Herr X (guter Schachzug, seinen Namen hab ich von der Passagierliste), ich verstehe, dass Sie verärgert sind, aber nicht, dass Sie mich so anschreien, denn ich kann nun wirklich nichts dafür geschweige denn etwas daran ändern, dass mir das Hähnchen aus den Händen gerissen wurde und deswegen nicht mehr zur Auswahl steht. Es gibt Beschwerdeformulare, die ich Ihnen geben kann, da können Sie dann persönlich an besagte Fluggesellschaft schreiben und darüber hinaus kann Ihnen gern ein Essen aus der B-Class besorgen, das würde allerdings noch ungefähr zehn Minuten dauern. Dort gibt es unter anderem auch Hähnchen.
ER *besänftigt, ruhig, verwundert*: Nein, nein, ich wollte ja gar nicht das Hähnchen, ich wollte ja sowieso das Rind.
ICH *fühle mich langsam ein bisschen verarscht*: Wie bitte? Das verstehe ich nicht. Warum denn dann der ganze Ärger?
ER: Nein, nein, ich bin ja gar nicht wütend auf SIE. Na ja, ich wollte halt einfach, dass Sie mir eine AusWAHL anbieten.
Nun kann er vermutlich sehen, dass ich bald die Beherrschung verliere, als ICH sage: Nun ja, ganz ehrlich, es gäbe vielleicht Menschen, die das getan hätten an meiner Stelle, ich aber biete grundsätzlich nur DAS an, was ich auch noch da habe.
ER: Wissen Sie, es ist ja nicht nur das Essen. Ich bin seit über 20 Stunden unterwegs, habe in Paris meinen Anschlussflug nicht bekommen, habe in Frankfurt 8Stunden warten müssen, habe dann nicht den Platz bekommen, den ich wollte, nämlich in der Business-Class (mir wird kurz schlecht, der ist ein Statuskunde), dann bekomme ich den schlechtesten Platz hier in der E-Class, zum zweiten Mal keine Essensauswahl und zusätzlich ist heute mein Geburtstag. Zu dem ich aber zu spät nach Hause komme und nicht nur das, zu spät zu meiner Familie, die ich jetzt seit über drei Monaten nicht mehr gesehen habe. Ich nehme das Rind. Danke.
Er tut mir plötzlich leid. Ich gratuliere ihm, entschuldige mich zum 500.000 Mal und bringe ihm sein sowieso gewolltes Rind, mit Champagner und Nachtisch aus der F-Class. Rede noch hier und da mit ihm, mache Witzchen, die sogar ich lustig finde und am Ende sagt er mir, als er endlich aus dem Flugzeug steigt:
Danke. Sie haben meinen Tag gerettet.
Äh- ja, gern doch.
Und die Moral von der Geschicht- verurteile die Passagiere nicht. Zu früh.
lahoiha - Sa, 19. Jan, 13:09
393 mal durch die Augen ins...
Sehr lustig!
Die Prinzessin auf der Boeing.
:-)