Vertrau mir
"Wie lange brauchst Du, um Dich anzuziehen?"
Seine Frage trifft mich unvorbereitet. Ich bin verwirrt, besonders über die eindrucksvolle Härte, die von diesen Worten ausgeht. Die keinen Widerstand, Widerspruch, nicht mal einen kurzen Moment des Nachdenkens duldet.
"Ich weiss es nicht. Nicht lange."
"Alex, wie lange brauchst Du, um Dich anzuziehen?"
Diesmal ist die Frage noch klarer, noch unverrückbarer. Noch härter. Ich blicke ihn an, auf der Suche nach dem winzigsten Anzeichen eines Spaßes, das muss einfach ein Spaß sein.
Er erwidert meinen Blick ohne Regung.
Mir wird flau, ich spüre Übelkeit in mir aufsteigen, ein brennend-schwammiges Gefühl im Magen. Übelkeit und... Angst. Draußen ist es tiefschwarze Nacht, die Sterne mögen als schöner Anblick, jedoch nicht als Lichtquelle dienen. Wir sind mitten auf dem Land. Ich kenne den Weg nicht. Ich kenne IHN doch überhaupt nicht. All das schießt mir in Sekundenschnelle durch den Kopf. Ich starre auf meine Reisetasche, die ungeordnet vor mir liegt. Und es erscheint mir völlig unmöglich, mich schnell anzuziehen. Ich will mich nicht anziehen. Ich will nicht da raus.
Seine unnachgiebige, fast drohende Stimme reißt mich erneut aus der Ummantelung meiner Gedanken.
"Wie lange?!!"
"Fünf Minuten, ich glaube, fünf Minuten."
"Gut, Du hast fünf Minuten, nicht mehr."
Ich gehe zitternd an meine Tasche. Sehe sie abschätzend an und spiele kurz mit dem Gedanken, mich einfach nicht anzuziehen. Mich aufs Bett zu setzen. Sitzen zu bleiben, bis es zu dämmern beginnt.
"Du hast noch drei Minuten!"
Ich ziehe mich jetzt an, einfach irgendwas. Eine Hose, egal welche, ein Shirt, Kapuzenpullover drüber. Meine Haare hängen mir strähnig und vom Gesprächswirrwarr der letzten Stunde gezeichnet, ins Gesicht.
Schon beim Schritt aus der Haustür wird mir klar, dass das hier kein Scherz sein kann. Ich bleibe stehen, möchte noch etwas von "es tut mir wirklich leid, ich habe es doch so nicht gemeint" stammeln, als er mich fest am Arm packt und mich in Richtung Gehweg, der sich schon nach wenigen Metern durch eine tiefschwarze, undurchdringliche Dunkelheit auszeichnet, zieht.
Ich stolpere hinter ihm her, klammere mich fest, der kurz zuvor noch erkennbare Gehweg ist nun vor meinen Augen komplett verschwunden. Nach einigen Metern und noch mehr Ewigkeiten bleibt er stehen.
Am ganzen Körper von einem monotonen Zittern geschüttelt beantworte ich seine teilnahmslose Frage "Ist Dir kalt?" mit einem Nein. Ich versuche, irgendwo auch nur irgendetwas auszumachen, das ich klar erkennen könnte. Wir stehen jetzt mitten auf dem Gehweg in einem Wald. Ich suche nach Umrissen von Bäumen, vielleicht Sträuchern. Blicke ihn an, aber auch er hat sein vertrautes Aussehen verloren, sein Gesicht schimmert blass-gelb und erinnert mich an den Anblick menschlicher Haut kurz nach dem Eintritt des Todes.
"Hast Du Angst?"
"Ja."
Kaum ausgesprochen dreht er sich mir zu und sagt:
"Du gehst jetzt neben mir her. Ich werde Dich nicht anfassen, bin aber immer da, immer neben Dir. Vertrauen gegen Vertrauen."
Ich weiß, worauf das anspielen soll und es trifft mich ins Mark. Ich habe unser vorangegangenes Gespräch vor Augen, meine völlig unpassende Antwort auf eine wirkliche Herzensfrage. Die folgende Diskussion über eine Stunde. Was erwarte ich nur von den Menschen, die mich umgeben? Vertrau mir. Ja. So einfach. Ausgesprochen.
Ohne Widerspruch, im Wissen darum, dass der im Nichts enden würde, folge ich ihm. Es wird dunkler und die Dunkelheit bald zu Finsternis. Mit einem Herzen, das beschleunigt durch jede Faser meines Körpers hämmert, stolpere ich voran und versuche, nicht darüber nachzudenken, was passiert, wenn er sein Tempo anzieht. Wenn ich falle. Wenn aus dem Schwarz des Waldes eine Hand nach mir greift, ich heißen Atem im Nacken spüre oder ein rotes, leuchtendes Augenpaar mich anblickt.
Und dann versagen mir meine Beine. Ich kann nicht weitergehen, stoppe aprupt, mein Atmen ist schnell aber schwer geworden, von überhall her höre ich Geräusche, die mich noch mehr ängstigen.
"Nein. Bitte. Bleib stehen."
Er stoppt, kommt zu mir, nimmt meine Hände. Ich glaube, er sieht mich an und ich frage mich kurz, ob es wirklich sein kann, dass während ich nahezu blind bin, er mich und alles um sich herum sehen kann.
"'Was ist los?"
"Ich habe Angst."
"Wovor hast Du Angst?"
Ich überlege kurz, versuche, meine Worte gedanklich zu ordnen, als er seine Frage schon wiederholt.
"Wovor hast Du Angst?"
"Vor dem, was ich nicht sehen kann. Davor, dass Du einfach weggehst. Vor der Dunkelheit... (...ohne Dich, aber das spreche ich nicht aus)."
Jetzt nimmt er mich in den Arm, hält mich fest. Mir ist nach Weinen zumute.
"Siehst Du, genauso geht es mir. Genau das fühle ich auch, aber um ein Vielfaches schlimmer."
Seine Frage trifft mich unvorbereitet. Ich bin verwirrt, besonders über die eindrucksvolle Härte, die von diesen Worten ausgeht. Die keinen Widerstand, Widerspruch, nicht mal einen kurzen Moment des Nachdenkens duldet.
"Ich weiss es nicht. Nicht lange."
"Alex, wie lange brauchst Du, um Dich anzuziehen?"
Diesmal ist die Frage noch klarer, noch unverrückbarer. Noch härter. Ich blicke ihn an, auf der Suche nach dem winzigsten Anzeichen eines Spaßes, das muss einfach ein Spaß sein.
Er erwidert meinen Blick ohne Regung.
Mir wird flau, ich spüre Übelkeit in mir aufsteigen, ein brennend-schwammiges Gefühl im Magen. Übelkeit und... Angst. Draußen ist es tiefschwarze Nacht, die Sterne mögen als schöner Anblick, jedoch nicht als Lichtquelle dienen. Wir sind mitten auf dem Land. Ich kenne den Weg nicht. Ich kenne IHN doch überhaupt nicht. All das schießt mir in Sekundenschnelle durch den Kopf. Ich starre auf meine Reisetasche, die ungeordnet vor mir liegt. Und es erscheint mir völlig unmöglich, mich schnell anzuziehen. Ich will mich nicht anziehen. Ich will nicht da raus.
Seine unnachgiebige, fast drohende Stimme reißt mich erneut aus der Ummantelung meiner Gedanken.
"Wie lange?!!"
"Fünf Minuten, ich glaube, fünf Minuten."
"Gut, Du hast fünf Minuten, nicht mehr."
Ich gehe zitternd an meine Tasche. Sehe sie abschätzend an und spiele kurz mit dem Gedanken, mich einfach nicht anzuziehen. Mich aufs Bett zu setzen. Sitzen zu bleiben, bis es zu dämmern beginnt.
"Du hast noch drei Minuten!"
Ich ziehe mich jetzt an, einfach irgendwas. Eine Hose, egal welche, ein Shirt, Kapuzenpullover drüber. Meine Haare hängen mir strähnig und vom Gesprächswirrwarr der letzten Stunde gezeichnet, ins Gesicht.
Schon beim Schritt aus der Haustür wird mir klar, dass das hier kein Scherz sein kann. Ich bleibe stehen, möchte noch etwas von "es tut mir wirklich leid, ich habe es doch so nicht gemeint" stammeln, als er mich fest am Arm packt und mich in Richtung Gehweg, der sich schon nach wenigen Metern durch eine tiefschwarze, undurchdringliche Dunkelheit auszeichnet, zieht.
Ich stolpere hinter ihm her, klammere mich fest, der kurz zuvor noch erkennbare Gehweg ist nun vor meinen Augen komplett verschwunden. Nach einigen Metern und noch mehr Ewigkeiten bleibt er stehen.
Am ganzen Körper von einem monotonen Zittern geschüttelt beantworte ich seine teilnahmslose Frage "Ist Dir kalt?" mit einem Nein. Ich versuche, irgendwo auch nur irgendetwas auszumachen, das ich klar erkennen könnte. Wir stehen jetzt mitten auf dem Gehweg in einem Wald. Ich suche nach Umrissen von Bäumen, vielleicht Sträuchern. Blicke ihn an, aber auch er hat sein vertrautes Aussehen verloren, sein Gesicht schimmert blass-gelb und erinnert mich an den Anblick menschlicher Haut kurz nach dem Eintritt des Todes.
"Hast Du Angst?"
"Ja."
Kaum ausgesprochen dreht er sich mir zu und sagt:
"Du gehst jetzt neben mir her. Ich werde Dich nicht anfassen, bin aber immer da, immer neben Dir. Vertrauen gegen Vertrauen."
Ich weiß, worauf das anspielen soll und es trifft mich ins Mark. Ich habe unser vorangegangenes Gespräch vor Augen, meine völlig unpassende Antwort auf eine wirkliche Herzensfrage. Die folgende Diskussion über eine Stunde. Was erwarte ich nur von den Menschen, die mich umgeben? Vertrau mir. Ja. So einfach. Ausgesprochen.
Ohne Widerspruch, im Wissen darum, dass der im Nichts enden würde, folge ich ihm. Es wird dunkler und die Dunkelheit bald zu Finsternis. Mit einem Herzen, das beschleunigt durch jede Faser meines Körpers hämmert, stolpere ich voran und versuche, nicht darüber nachzudenken, was passiert, wenn er sein Tempo anzieht. Wenn ich falle. Wenn aus dem Schwarz des Waldes eine Hand nach mir greift, ich heißen Atem im Nacken spüre oder ein rotes, leuchtendes Augenpaar mich anblickt.
Und dann versagen mir meine Beine. Ich kann nicht weitergehen, stoppe aprupt, mein Atmen ist schnell aber schwer geworden, von überhall her höre ich Geräusche, die mich noch mehr ängstigen.
"Nein. Bitte. Bleib stehen."
Er stoppt, kommt zu mir, nimmt meine Hände. Ich glaube, er sieht mich an und ich frage mich kurz, ob es wirklich sein kann, dass während ich nahezu blind bin, er mich und alles um sich herum sehen kann.
"'Was ist los?"
"Ich habe Angst."
"Wovor hast Du Angst?"
Ich überlege kurz, versuche, meine Worte gedanklich zu ordnen, als er seine Frage schon wiederholt.
"Wovor hast Du Angst?"
"Vor dem, was ich nicht sehen kann. Davor, dass Du einfach weggehst. Vor der Dunkelheit... (...ohne Dich, aber das spreche ich nicht aus)."
Jetzt nimmt er mich in den Arm, hält mich fest. Mir ist nach Weinen zumute.
"Siehst Du, genauso geht es mir. Genau das fühle ich auch, aber um ein Vielfaches schlimmer."
lahoiha - Di, 4. Sep, 14:51
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