Montag, 20. November 2006

Robben Island und die Sache mit dem Vergeben

2002 war ich im Rahmen meines 2monatigen Südafrikaurlaubes auf Robben Island, der ehemaligen, seit 1994 erst ehemalig, Gefängnisinsel. Sie ist 500 Hektar groß und 12 km vor der Küste Kapstadts gelegen. Nelson Mandela verbrachte dort in einer der Zellen, die nicht mehr als 5qm messen, 27 Jahre seines Lebens. Nach der halbstündigen Überfahrt mit dem Katamaran, der nach einem der Flüchtlinge benannt ist, die nicht ertranken in der Kälte des Meeres vor Kapstadt oder gefressen wurden von Haien,
wurden wir, eine Gruppe von etwa 30 Menschen, am kleinen Bootsanleger von einem ehemaligen Häftling in Empfang genommen. Ein großer, farbiger Mann mit offenen, stechenden, aber gütigen Augen. Noch ehe wir auch nur ein bisschen der Insel sichten konnten führte er uns in einen kleinen Betonbau, in einen kahlen, kalten Flur, glatte Wände und Neonlicht. In das Zimmer links neben der Eingangstür. Schmale Bänke an den Wänden. Er forderte uns zum Setzen auf, und nachdem ein jeder seinen Platz unter den vergitterten, kleinen Löchern gefunden hatte, die Fenster darstellen sollten,
schlug er mit einem ohren- und gefühlbetäubenden Knall die schwere Stahltür zu. Alle erschraken und zuckten zusammen, der Rest Tageslicht, der durch die Fenster fiel, machte mir eher Angst als das Zimmer zu erleuchten. Ganz plötzlich war es dunkel und still. "Das war das Erste an jedem meiner Tage , die ich hier erlebt habe." Damit begann er die Geschichte, die der Insel, die der Häftlinge, seine eigene Geschichte. Er sprach laut, gleichzeitig aber mit ruhiger, gefasster Stimme. Er wurde damals verurteilt weil er an einem Bombenanschlag beteiligt gewesen war, der mitten in der Nacht auf ein menschenleeres Regierungsgebäude verübt worden war, für die Freiheit, gegen die Apartheid. Lebenslange Haftstrafe. Er fuhr fort. Eines Tages wollte ihn sein Vater besuchen, die Bewilligung hatte Monate gebraucht, und kurz nachdem er die Insel betreten hatte wurde er aus dem Hinterhalt von 9 Schüssen in den Rücken getroffen und starb.
Die Häftlinge mussten auf dem kalten Boden schlafen, auf dünnen Strohmatten auf Beton, er kniete sich hin um uns zu demonstrieren, wie sie gefoltert worden waren. Es dauerte nicht lange, da ging ob dieser menschenverachtenden Demonstration, die keine Geschichte und soviel mehr war als nur Demonstration, Schluchzen durch den Raum. Mir war übel, ich hatte Probleme, die stickige Luft in meine Lunge zu ziehen.

Er stand auf. Schwieg. Beobachte seine Worte, die noch durch den Raum waberten, gab der Reaktion der Menschen, die dicht gedrängt an den Wänden saßen und sich teilweise aneinander klammerten, Zeit. Das schwache Neonlicht flackerte und surrte monoton.

Kurz bevor die Stille unerträglich zu werden schien hob er seine Stimme wieder an. Ich weiß nicht mehr genau, was er sagte, meine Erinnerung weicht noch heute der Kälte und den Tränen, die mir aus den Augen auf den glatten, leicht grün schimmernden Boden fielen.

Ich weiß nur, dass ich durch mein Weinen hindurch verwundert war. Das was ich hörte klang nicht gebrochen, nicht hasserfüllt, nicht traurig oder selbstbemitleidend. All das hatte ich erwartet und fast vorausgesetzt.
Er war gütig. Er war sanft. Er sagte, er hätte diesen Menschen verziehen. Vergeben. Den Mord an seinem Vater, die Verletzungen seiner Person, die körperlich waren und noch jetzt seine Haut zierten, die Verletzungen an seiner Seele. Und er schien glücklich.

Als wir schließlich gingen, die Tür öffnete sich langsam schnarrend, frische Luft schlug mir entgegen, blieb ich vor ihm stehen und sah ihn an. Ich wollte ihm meine Hand geben, ihm sagen, wie sehr ich ihm dankte, zu ihm aufsah, ihn bewunderte... aber noch bevor ich etwas sagen konnte nahm er meine Hand in seine, lächelte, nickte, bedankte sich BEI MIR. Ich blieb stumm und ich habe auch nie das Gefühl gehabt, dass Worte nötig gewesen wären.

xxx

Warum ich das alles schreibe? Heute? Weil ich denke, dass ich mich in der letzten Zeit mal wieder ein wenig zu wichtig nehme und weil ich es leid bin, in meinem eigenen Gezeter und Mordio zu ertrinken.
Und, am Ende,
geht es auch noch um das Verzeihen. Um das Loslassen.
Ich möchte beides können, nicht beherrschen, aber können und in mir wohnen haben.
Für die Freiheit. Meine eigene.

xxx
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Lahoiha

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